Fastenzeit ist Gemüsezeit: Artischocken, wilder Spargel & Co.
von Nicole Raukamp - www.pecora-nera.eu
Der kulinarische März ist auf der Insel von Gemüse und fleischloser Kost geprägt. Das mag erstaunen - hält doch fast jeder Urlauber die Sarden generell für ausgeprägte Fleischesser. Damit liegt man heutzutage nicht falsch - und angesichts von Malloreddu mit Salsiccia und gegrilltem Porcetto bei jeder passenden und unpassenden Gelegenheit könnte man denken, es gäbe nichts anders. Aber es ist nicht die ganze Wahrheit. Die sardische Küche ist auch auf Gemüseseite sehr vielseitig. Das beweist die Fastenzeit vor Ostern. Vor allem in den ländlichen Gegenden und bei der älteren Generation prägt die 40-tägige Fastenzeit die Küche. Nach dem Karneval beginnt am Aschermittwoch (italienisch: mercoledì delle cenere, campidanese: su merculis de cinixu) die liturgische Zeit vor Ostern. Sie endet am Tag vor Ostersonntag und dient der inneren Einkehr und dem Verzicht. Das äussert sich natürlich vor allem innerlich-religiös-geistig. Aber das Fasten war auch buchstäblich gemeint und so verzichtete man auf Fleisch und Fettes. In früheren Zeiten hatte der österliche Fleischverzicht auch ganz praktische Vorteile: Fleisch brauchte man vorwiegend in der kalten Jahreszeit, damit man warm wurde und weil das Fett und die Innereien der Tiere Energie lieferten, wurde quasi alles von ihnen verwendet. Wenn der Winter zu Ende ging und es täglich wärmer wurde, reichte auch Pasta oder Gemüse. Zumal kaum noch Fleisch vorhanden war: Damals konnte man es nicht lang lagern und so war höchstens noch Frittierte Frutti di Maregeräucherter Schinken da. Die Tiere mussten sich erstmal wieder Fett anfressen, bevor man sie schlachten konnte. Außerdem ging es im Frühling in den Köpfen der Landwirte tatsächlich um neues Leben und nicht darum, welches zum Genuss zu beenden. Ein guter, nachhaltiger Gedanke.
Frittiertes als Energielieferant
Energielieferanten brauchte man als Landwirt und Hirte trotzdem. Man fand diese in anderer Form - zum Beispiel mit Frittiertem. Die süssen Teigbomben vom Karneval wurden von den Frauen weiter gefertigt, Besonders beliebt auf Sardinien ist die Frittata - eine Art dickes Omelett aus Eierteig mit Gemüse aller Art, von Zucchini, Kartoffeln, Erbsen, Artischocken, Fenchel - der Fantasie sind keine Grenzen gesetzt. Auch in Teig ausgebackenes Gemüse - heute als Beilage (contorno) bekannt - war früher manchmal eine ganze Hauptmahlzeit. An den Küsten wurden Meeresfrüchte, Moscardini, Tintenfischringe oder kleine Fische in Teig frittiert. Die "Frittura di pesce" gibt es heute noch in vielen Restaurants und ist auch zuhause einfach zuzubereiten. Die Gemüsegerichte auf Sardinien sind zudem ein echter kulinarischer Genuss. Zwei Gemüse stechen zu dieser Jahreszeit besonders hervor: die Artischocke (carciofo spinoso) und der wilde Spargel (asparago selvatico).
Artischocke - das Wundergemüse
Große Artischocken-Felder gibt es in ganz Sardinien, zum Beispiel auf der Sinis-Halbinsel bei Cabras, in Nordsardinien bei Valledoria oder im Medio Campidano. Sie sind nicht nur wunderschön anzusehen, sondern die Artischocken sind vor allem auch lecker. Ihre Verarbeitung in der Küche ist aufwändig und mühsam: Um Artischockenan den genießbaren Teil, das Artischockenherz zu kommen, muss vorher ziemlich viel Zeug entfernt werden, das piekt. Insofern sind Artischocken ein echtes "Slow Food" und sehr gut passend zur Fastenzeit. Man kann sie vierteln und frittieren, klein gehobelt in Fregola oder Malloreddu verarbeiten oder mit Ricotta als Füllung für Ravioli verwenden ... Artischocken können auch sehr gut eingelegt werden und zu einer anderen Jahreszeit als Antipasto serviert werden. Jede sardische Hausfrau zieht im Herbst und Winter ihre eingelegten, sardischen den vermeintlich frischen Globalisierungs-Artischocken im Supermarkt vor. Ganz frisch sind fein gehobelte Artischocken mit geraspelter Bottarga und einem richtig guten Olivenöl ein Gedicht. Falls du im Frühling zufällig in Cabras bist, gehört es definitiv zum Besten, das du auf Sardinien essen kannst.
Wilder Spargel - eine kulinarische Seltenheit
Vergiss zunächst mal alles, was du über Spargel aus Deutschland / dem Supermarkt weißt. Der wilde Spargel auf Sardinien ist erstmal grün-braun, sehr dünn und vor allem: unkultiviert und gut versteckt. Ihn zu finden, erfordert einiges an Übung. Er wächst zwar auch am Straßenrand oder wild auf Wiesen - aber die Pflanze ist ziemlich wirr und sieht so gar nicht nach Spargel aus. Man steht davor und erkennt sie nicht. Entsprechend selten ist der wilde Spargel auf den Speisekarten der Restaurants. Wenn, dann sind zum Beispiel Spargel und Seeigel (Asparagi selvatici e Ricci di mare) eine großartige Kombination - so gegessen in Alghero. Frisch bekommst du sie auf Sardinien am ehesten zum Wochenbeginn in Obst- und Gemüseläden in kleineren Orten - wenn sich der/die Händler/-in am Wochenende auf die mühsame Suche gemacht hat. Auch auf Wochenmärkten wird er ab und zu angeboten. Im Süden Sardiniens, im Medio Campidano bereits ab Februar, im Norden manchmal erst Ende März. Wieder liegt der Schlüssel zum Genuss in der Einfachheit: In einer großen Pfanne sacht gutes Olivenöl erhitzen, Spargel in Gänze hineingeben, salzen, pfeffern und langsam rösten. Fertig. Wer noch mehr Energie braucht, teilt ihn in kleinere Stücke, rührt einen Eierteig an und zaubert mit ihnen eine "Frittata". Der wilde Spargel zählt auch als Heilpflanze, seine Eigenschaften stärken das Immunsystem, er ist entwässernd und entgiftend, antioxidativ und remineralisierend. Er soll aufgrund seiner bis zu zehnmal höheren Konzentration an Saponinen hat er sogar eine hemmende Wirkung auf Tumorzellen. Er ist reich an Kalzium, Zink und Magnesium sowie Vitaminen der Gruppe B - besonders gut in der Schwangerschaft. Kleiner Trost für alle, die im März nicht auf Sardinien sind, um diese grandiosen Gemüse und Gerichte zu genießen: Die Rezepte lassen sich mit jungem, grünem Biospargel aus Italien oder Griechenland "imitieren".
Pane FrattauSardische Klassiker ohne Fleisch
Die sardische Küche hat eine Reihe von fleischlosen Pasta- und Brotgerichten oder sagen wir lieber: Rezepten, die sich auch ohne Fleisch zubereiten lassen. Denn die alte Philosophie, alles vom Tier zu verwenden (und auch weil Gemüse zu wertvoll zum Einkochen war) führt dazu, dass die Basis mancher Gerichte eine Brühe aus Knochen ist - wie zum Beispiel die Zuppa Gallurese oder Su Filindeu (classico). So gesehen ist es für Vegetarier auf Sardinien trotzdem mühsam, sich fleischlos zu ernähren. Relativ sicher sind folgende Gerichte: Pane Frattau (aus Pane Carasau, mit einer Tomatensauce und einem Ei), Su Filindeu (wenn mit Pecorino oder Ricotta gemacht), Pecorino arrosto (in der Pfanne gebratener, reifer Pecorino-Käse, ggf. in Panade), Culurgiones (Pasta mit Kartoffel- und Minzfüllung) oder Couscous alla Carlofortina (mit Kichererbsen und Gemüse). Hol dir doch einfach zur Feier der Fastenzeit ein gutes sardisches Rezeptbuch, konzentriere dich auf den Verzicht und lass alles weg, was nicht sein soll. Koche in deiner eigenen oder der Ferienhaus-Küche die guten sardischen Gerichte in einer leichten Variante. Und wenn du nicht fastest, mach das trotzdem, zur Horizonterweiterung. Gönn dir einen guten Vermentino und begrüße den Frühling!
Buon Appetito! von: Nicole Raukamp & Ossip Bachmann